Haushalt ist Frauensache: Feministische Finanzpolitik und Gender Budgeting – Almut Großmann & Manon Luther

- Posted by Author: marcotiberio in Category: | 5 min read

Wenige Dinge werden so oft formalisiert und emotionslos diskutiert wie Haushalts- und Finanzpolitik. Dabei ist die Frage, wie wir öffentliche Gelder in unserer Gesellschaft verteilen, für uns alle relevant.

Der öffentliche Haushalt ist in Zahlen gegossene Politik und hat enorme Auswirkungen auf die Art und Weise, wie wir Gesellschaft organisieren. Für gerechte Finanzpolitik müssen wir uns deshalb fragen: Wer profitiert eigentlich am meisten von dem öffentlichen Geldern?

Diese Frage dient nicht dazu, sozialpolitische Maßnahmen gegeneinander auszuspielen, sondern insbesondere geschlechtsspezifische Unterschiede festzustellen. Um zu beantworten, inwiefern die Geschlechter unterschiedlich von haushalts- oder fiskalpolitischen Maßnahmen profitieren, nutzten bereits einige Kommunen und Bundesländer sogenanntes Gender Budgeting.

Gender … what?

Gender Budgeting ist die Umsetzung von Gender Mainstreaming in der Haushalts und Finanzpolitik. Es sollen alle Einnahme und Ausgabeposten – also der gesamte Haushalt – auf ihre Effekte für Frauen, Männer und Personen, die sich nicht auf eine binäre Zuordnung festlegen möchten oder können, auf die Effekte der Geschlechtergerechtigkeit überprüft werden.

Inwiefern können jedoch gleiche Maßnahmen unterschiedliche Effekte auf die Geschlechter haben? Schauen wir auf die aktuelle Krise und die wichtigen konjunkturellen oder arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen, die im Zuge dieser getroffen wurden.

Ein gutes Beispiel stellt das Kurzarbeiter*innengeld dar. Tatsächlich profitieren von dieser Maßnahme in erster Linie Personen, die sich in sogenannten Normalbeschäftigungsverhältnissen – tariflich bezahlt, unbefristet, Vollzeit – befinden. Das sind in erster Linie Männer.

Frauen arbeiten zu großen Teilen in prekären Beschäftigungsverhältnissen und gerade dort kam diese arbeitsmarktpolitische Maßnahme gar nicht oder kaum an. Das bedeutet nicht, dass es sich bei dem Kurzarbeiter*innengeld nicht um eine gute Maßnahme handelt. Tatsächlich war sie aber noch nicht gut genug, wenn wir uns die gesamtgesellschaftlichen Auswirkungen von Mittelverteilung vergegenwärtigen.

„Nicht aktiv diskriminierend“ ist nicht genug

Durch Gender Budgeting erreichen wir Klarheit darüber: Wer profitiert von welchen Ausgaben direkt oder indirekt? Wer wird durch welche Einnahmen be- oder entlastet? Wie wirken sich Einsparungen oder Investitionsprogramme durch weniger oder zusätzliche Lasten auf Frauen und Männer aus? Nur dann können Entscheidungen mit dem Ziel der geschlechtergerechten Verteilung von finanziellen Mitteln getroffen werden.

Und nur dann können haushaltspolitische Entscheidungen den bestehenden Geschlechterverhältnissen etwas entgegensetzen, anstatt sie zu verfestigen. Ziel ist dabei nicht nur ein geschlechterneutraler Haushalt, der nicht aktiv diskriminiert. Unser Ziel muss ein Haushalt sein, der geschlechtsbewusst agiert und Geschlechterungerechtigkeiten aktiv bekämpft.

Wo gibt es bereits Gender Budgeting?

Gender Budgeting ist schon heute ein wirkungsvolles Instrument auf nationaler wie kommunaler Ebene. Seit 2014 bezeichnet sich die schwedische Regierung als feministisch und führte in diesem Zuge auch eine feministische Finanzpolitik, das Gender Budgeting, ein.

In den Jahrzehnten zuvor hatte sich der Staat bereits verpflichtet, in allen amtlichen Statistiken und Erhebungen auch eine Geschlechterperspektive einzunehmen, sodass auch politische Maßnahmen und gesellschaftliche Veränderungen auf ihre Auswirkung auf die Geschlechter überprüft werden konnten. Die schwedische Regierung erklärte, dass sie mit der Einführung des Gender Budgetings das Ziel habe, eine Gesellschaft ohne finanziellen Zwänge für das Leben in traditionelle Rollenbilder zu gestalten.

Auch in Schweden ist dadurch das Ziel einer geschlechtergerechten Gesellschaft noch nicht erreicht. Alle staatlichen Ressourcen so einzusetzen, dass die finanziellen Rahmenbedingungen nicht zur Benachteiligung von Frauen beitragen, ist trotzdem der richtige Schritt.

Kommunales Gender Budgeting

Auch dort, wo Menschen häufig am unmittelbarsten von politischen Entscheidungen in ihrem Alltag betroffen sind – in der Kommune – kann Gender Budgeting zu mehr Geschlechtergerechtigkeit beitragen. In Münster (NRW) votierte der Rat der Stadt bereits 2007 für die Einführung des Gender Budgeting. Bis zur tatsächlichen Umsetzung waren und sind bis heute jedoch viele Hürden zu nehmen.

Um die konkrete Umsetzung einer geschlechtergerechten Verteilung der finanziellen Mittel der Stadt zu organisieren, wurden Vertreter*innen aus Politik und Verwaltung inklusive der Vertretung aller Dezernate der Stadt beteiligt. Erst durch eine detaillierte Aufarbeitung der Effekte einzelner Haushaltsposten und der gesellschaftlichen Verhältnisse wird deutlich: Investitionen in Büchereien, die Volkshochschule oder das Schwimmbad kommen in besonderem Maße Frauen zu Gute, die diese Bereiche der öffentlichen Daseinsvorsorge besonders nutzen.

Gleichzeitig sind Frauen durch Kürzungen an dieser Stelle ebenfalls besonders stark betroffen. Auch bei Investitionen in den öffentlichen Nahverkehr oder in Radwege profitieren Frauen mehr, da sie durchschnittlich häufiger mit diesen Verkehrsmitteln unterwegs sind und weniger mit dem Auto. Haushaltspolitik in der Kommune feministischer zu gestalten, kann also ebenfalls einen großen Beitrag zu einer geschlechtergerechte Zukunft leisten.

Warum brauchen wir Gender Budgeting auf Bundesebene?

Mit Gender Budgeting kann zukünftig analysiert werden, wie Mittel zwischen männlich und weiblich dominierten Gesellschaftsbereichen – ob bei Subventionen, in der Arbeitsmarktpolitik oder im öffentlichen Nahverkehr – verteilt werden. Und wir sehen, welche Wirkungen Haushaltspolitik auf die gesellschaftlichen Geschlechterverhältnisse und die Entwicklung von Gleichstellung hat. Damit könnte in Zukunft  verhindert werden, dass Verteilung ungewollt einseitig einer Gruppe zugute kommt oder nur bestimmte Lebensmodelle fördert.

Ein Drittel aller EU-Länder nutzt bereits Gender Budgeting als gleichstellungspolitisches Instrument, doch das Bundesfinanzministerium weigert sich beharrlich. Trotz mehrfacher Initiativen und Beschlüsse in Brüssel gibt es weiterhin keine effiziente Analyse des Bundeshaushaltes auf seine geschlechtsspezifischen Auswirkungen. Dabei ist es an der Zeit, den öffentlichen Haushalt aktiver für die demokratische Entwicklung der Gesellschaft und zur Gestaltung realer Lebenslagen von Frauen, Männern und nicht-binären Menschen und den damit verbundenen gesellschaftlichen Herausforderungen auszurichten.

Woran scheitert es?

Doch woran scheitert es genau? Zunächst insbesondere an dem fehlenden politischen Willen der Konservativen. In den letzten Jahren ist eine Vielzahl an Initiativen im Parlament von unterschiedlichen Parteien gescheitert. Jedoch steht einer effektiven Umsetzung ebenfalls fehlende Strukturen und fehlendes Wissen in diesem konkreten Bereich in der Finanzverwaltung im Weg.

Es muss klar sein: Der kommende Haushalt muss der Erste sein, der auf seine konkreten gesellschaftspolitischen Auswirkungen überprüft wird. Es muss Aufgabe und Anspruch der SPD sein, Gender Budgeting zu einem zentralen Instrument von Haushaltspolitik zu machen.

Gender Budgeting als konsequente Umsetzung von Gender Mainstreaming

Das Prinzip Geschlechtergerechtigkeit für alle politischen Entscheidungen oder auch Gender Mainstreaming beginnt mit der Erkenntnis, dass unsere Gesellschaft von der Ungleichheit zwischen Geschlechtern geprägt ist.

Die Strategie des (binären) Gender Mainstreaming oder auch Leitprinzip der Geschlechtergerechtigkeit ist laut dem Bundesministerium für Familien, Senior*innen, Frauen und Jugend seit dem 23. Juni 1999 fester Bestandteil des Regierungshandelns. Trotzdem sind bis heute Frauen in Entscheidungsprozessen rund um Gesetzgebungsverfahren strukturell unterrepräsentiert, im Kabinett, genau wie im Bundestag. Ihnen stehen weniger Ressourcen zur Verfügung.

Die Umsetzung des Leitprinzips der Geschlechtergerechtigkeit in allen Entscheidungsprozessen steht auch 22 Jahre nach dessen Einführung noch ganz am Anfang. Bis heute steht die Bundesregierung unter dem Druck der Konservativen, dass Gender Budgeting nicht die geeignete Maßnahme sei, um eine Gleichstellung von Frauen und Männern zu erreichen.

Das Ziel eines geschlechtergerechten Haushaltes könnte daran endlich etwas ändern, indem wir endlich geschlechtergerecht Geld einnehmen und ausgeben.

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