Verantwortung übernehmen für eine neue Europäische Asylpolitik – Antonia Hemberger & Michelle Rauschkolb

- Posted by Author: Pauline Schur in Category: | 5 min read

Im September des letzten Jahres stellte die Europäische Kommission den New Pact on Migration and Asylum vor, ihren Plan für die Reform des gemeinsamen europäischen Asylsystems. Das aktuelle Dublin-Verfahren soll überarbeitet werden. Diese Reform ist längst überfällig angesichts der katastrophalen Zustände in Camps wie Moria und den immer neuen Vorwürfen gegen die Grenzeinheit Frontex.

In Kernstreitfragen sollen nun tragfähige Kompromisse gefunden werden, die die Unstimmigkeiten zwischen den Mitgliedstaaten mildern. Doch im Ringen um einen Interessenausgleich mit Staaten wie Ungarn, dessen Regierung seit Jahren gar keine Geflüchteten aufnehmen will, kommen die Interessen und Rechte derer zu kurz, um die es eigentlich zentral gehen sollte und deren Stimme bislang zu wenig gehört wird: Geflüchtete.

Schnell, schneller, Grenzverfahren

Ein zentrales Anliegen der EU-Kommission ist es, die Asylverfahren zu beschleunigen. Dafür soll es zukünftig eine Art Vorabüberprüfung geben, das sogenannte Screening. Bei diesem sollen Menschen mit Fingerabdrücken registriert werden und einen Gesundheits- und einen Sicherheitscheck durchlaufen. Während dieses Screenings befinden sich die Schutzsuchenden in einer Art Transitzone, denn sie gelten offiziell als nicht eingereist.

Kommen Asylsuchende aus einem Land mit niedriger Anerkennungsquote des Asylantrags, soll für sie statt eines “normalen” Verfahrens ein beschleunigtes Verfahren gelten. Dieses Schnellverfahren soll innerhalb von zwölf Wochen abgeschlossen sein. In dieser kurzen Zeit eine umfassende, individuelle Prüfung des Antrags auf Asyl durchzuführen, erscheint unrealistisch. Das neue Verfahren sollte die Rechte der Asylsuchenden sicherstellen, unabhängig von statistischen Wahrscheinlichkeiten.

Abschiebepatenschaften sind kein Zeichen von Solidarität

Seit Jahren gibt es Überlegungen und Vorschläge zu europäischen Verteilungsschlüsseln, also der Frage, welche europäischen Länder wie viele Schutzsuchende aufnehmen. Einigen konnten sich die Mitgliedstaaten nicht, deshalb setzt die Kommission im Entwurf der Reform auf ein anderes Prinzip.

Statt Schutzsuchende aufzunehmen, könnte ein Land nun stattdessen die Verantwortung für die Abschiebung von Personen übernehmen. Dieses Verfahren als Solidaritätsmechanismus zu bezeichnen, ist zynisch, denn es geht genau um das Gegenteil. Politiker*innen wie Orban könnten zudem dieses neue Instrumente nutzen, um sich noch stärker gegen Asylsuchende zu profilieren.

Seenotrettung ist kein Verbrechen

Wir setzen uns für legale Einreisemöglichkeiten ein. Solange diese noch nicht existieren, bedarf es der Seenotrettung. Immer wieder werden Missionen festgesetzt und müssen sich strafrechtlich dafür verantworten, dass sie eine Aufgabe übernehmen, die die Europäischen Mitgliedsstaaten scheuen. Das heißt auch, dass jeden Monat Menschen sterben, die gerettet werden könnten.

Wir fordern deshalb eine europäische Seenotrettungsmission und Solidarität mit den privaten Retter*innen. Anstatt die Crews zu kriminalisieren, sollte jeder europäische Mitgliedsstaat Schiffe von Seenotrettungsorganisationen anlegen lassen. Tagelange Irrfahrten könnten so verhindert werden und Seenotretter*innen wären schnellstmöglich wieder bereit zur Rettung.

Die Kooperation zwischen Frontex und der libyschen Küstenwache muss ein Ende haben. Es darf nicht sein, dass sich Hunderte sichere Häfen in Deutschland und anderen europäischen Mitgliedsstaaten bereit erklären, Menschen aufzunehmen, aber parallel Geflüchtete illegal nach Libyen zurückgeschoben werden. Ein Land, gezeichnet vom Bürgerkrieg, dessen Unterkünfte für Geflüchtete in katastrophalem Zustand sind und in dem sie Folter und Menschenrechtsverletzungen erleiden.

Sichere Unterkünfte statt Moria 2.0

Die Bilder aus Moria haben im vergangenen Jahr viele Menschen erschüttert. Während in Europa Lockdowns in Kraft traten und Social Distancing das Gebot der Stunde war, lebten Geflüchtete im Camp Moria auf der griechischen Insel Lesbos dicht an dicht ohne grundlegende sanitäre Standards. In dem Camp lebten zeitweise etwa zehnmal so viele Menschen wie eigentlich vorgesehen.

Viele nationale Regierungen in Europa schauten zu, oder besser gesagt weg, und schoben die Verantwortung zwischen sich und der europäischen Ebene hin und her. Das Camp stand in Flammen, es stand unter Wasser, es mangelte an Essen und an Toiletten. Die europäischen Staats- und Regierungschef*innen entschieden sich trotzdem gegen eine umfangreiche Evakuierung der Geflüchteten in den Camps.

Im Gegenteil: Einige machten aus den schlimmen Zuständen ein strategisches Kalkül. Aber wer das Leid von Menschen für seine innenpolitische Imagekampagne als Law-and-Order-Politiker*in missbraucht oder es als Instrument der Abschreckung gegen Schutzsuchende auf dem Weg nach Europa nutzt, verletzt die Grundwerte der EU. Umso wichtiger ist es mit der europäischen Reform die unhaltbaren Zustände in den Camps an den Außengrenzen zu beenden.

Doch der aktuelle Entwurf der Kommission setzt noch stärker auf die Errichtung von sogenannten Hotspots. Denn am grundlegenden Prinzip des Dublin-Verfahren ändert sich nichts. Es sollen weiterhin die Staaten die Asylverfahren durchführen, in denen Menschen zuerst ankommen. Die Lage der Geflüchteten in den Camps könnte sogar noch weiter verschärft werden, denn die Geflüchteten sollen während des neuen Grenzverfahrens in geschlossenen Internierungsunterkünften untergebracht sein. Das ist nicht nur rechtlich bedenklich, sondern wird langfristig die Verhältnisse von Moria fortschreiben.

Verantwortung endet nicht an den Außengrenzen

Wir empfinden es als notwendig, dass die EU Mitgliedsstaaten das Budget für Entwicklungszusammenarbeit erhöhen, jedoch darf die Vergabe von Geldern nicht an Migrationsabwehr geknüpft werden. Zunehmend werden finanzielle Mittel dazu verwendet, Grenzen auf dem afrikanischen Kontinent zu schließen, Migration zu erschweren und Abschiebungen zu erleichtern. Die Aufgabe von Entwicklungszusammenarbeit sollte es sein, die Not zu lindern, anstatt diese zu verschärfen.

Anpassung an den Klimawandel und lokaler wirtschaftlicher Aufschwung müssen Vorrang haben vor Geldern, die dazu ausgegeben werden, die Bewegungsfreiheit von Menschen einzuschränken wie im Falle von Ländern in der Sahelzone. Wenn die EU nicht in koloniale Muster verfallen will, braucht es mehr Mitspracherechte der Herkunfts- und Transitländer bei der Vergabe von finanziellen Mitteln.

Die Zukunft wird jetzt entschieden

Die Entscheidung über die Reform ist noch nicht gefallen. Derzeit läuft der Trilog, also die Diskussion zwischen der Europäischen Kommission, dem Europäischen Parlament und den Regierungen der EU-Mitgliedstaaten. Wir brauchen eine Bundesregierung, die sich für legale Fluchtwege, staatliche Seenotrettung und eine Ende der Camps einsetzt.

Die Bundestagswahl hat deshalb auch Auswirkungen auf die Debatten auf europäischer Ebene und die europäische Geflüchtetenpolitik. Umso wichtiger ist ein starkes Bekenntnis im Wahlprogramm für eine humane Asylpolitik, die eine echte Trendwende einleitet und kein Weiter-so für Dublin, Moria und Frontex bedeutet. Wir brauchen endlich eine europäische Asylpolitik, die mit den Grundwerten der Europäischen Union vereinbar ist.

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