Rassismus ist überall, Antirassismus hat es auch zu sein! – Birkan Görer

- Posted by Author: Leonard Wolf in Category: Artikel 01/22 | 6 min read

Rassismus ist schon immer und überall existent gewesen: Menschen wurden immer wieder aufgrund persönlicher Merkmale, wie Haut- oder Haarfarbe, ihren religiösen Überzeugungen oder ihrer Herkunft diskriminiert, ausgegrenzt und benachteiligt. Vermeintlich, weil sie sich von der Mehrheitsgesellschaft unterscheiden. Doch die Folgen von rassistischem Denken und Handeln sind stets die gleichen. Was als Ausgrenzung startet, endet in Übergriffen und Tötungen.

Vor dieser gesamtgesellschaftlichen Gefahr müssen wir uns schützen, immer und überall. Dieser Schutz ist zuvorderste eine staatliche Aufgabe. Antirassismus hat rassistische Verhaltens- und Denkmuster aufzudecken und sich ihnen entschieden entgegenzusetzen. Zur Gewährleistung eines immer und überall geltenden Schutzes, hat Antirassismus auch anzumahnen, wenn Rassismus unbemerkt zuschlägt. In den letzten Jahren ist es leider eine wesentliche Aufgabe der antirassistischen Arbeit gewesen, aufzuzeigen, wie staatliche Institutionen daran scheitern, Rassismus (rechtzeitig) auszumachen und ihn konsequent zu verfolgen und zu bestrafen.

Rassismus ist keine rein abstrakte Gefahr und rassistischen Taten sind auch keine Einzelfälle. Sie sind die Grundlage dafür, dass Menschen im schlimmsten Fall getötet werden. Hinter den Taten stecken rassistische Ideologien, Netzwerke und Strukturen. Und: das Scheitern von staatlichen Institutionen, rassistischen Taten präventiv entgegenzuwirken, sie aufzudecken und vollends aufzuklären. Diese Verfehlungen hängen viel zu häufig selbst mit dem Rassismus zusammen, den es eigentlich zu bekämpfen gilt.

Es sind konkrete rassistische Taten, keine rein abstrakten Gefahren

Am 19. Februar 2020 sind bei einem rechtsextremen Terrorakt neun Hanauer*innen ermordet worden. Die Mordanschläge erfolgten in einer Shisha-Bar und vor weiteren Lokalen, die – täterseits bekannt – bevorzugt von BIPoCs besucht werden. Der Täter hat seine rechtsextremen Ansichten stets offengelegt, ist polizeilich aufgrund mehrerer Ermittlungsverfahren bekannt gewesen und erhielt im Jahre 2013 trotzdem die Erlaubnis zum Waffenbesitz. Im Internet veröffentlichte der Täter seine Motive, die keinen Zweifel an einem rassistischen und von verschiedenen Verschwörungstheorien geprägten Weltbild übriglassen.

Der sog. Nationalsozialistische Untergrund (NSU) ermordete zwischen 2000 und 2007 neun Menschen mit Migrationsgeschichte und eine Polizistin. Er verübte zahlreiche Mordversuche und drei Sprengstoffanschläge. Die Opfer des sog. NSU wurden oftmals in Alltagssituationen überrascht und jeweils wie bei einer Hinrichtung aus kurzer Distanz erschossen. Erst in Folge des Todes zweier Täter im Jahr 2011 erlangte der sog. NSU öffentliche Bekanntheit. Das Umfeld des sog. NSU wird auf 100 bis 200 Personen geschätzt, verurteilt wurden neben der Mittäterin nur vier Helfer.

Unter der Bezeichnung als NSU 2.0 versandten mehrere Täter in einem Zeitraum von etwa drei Jahren zahlreiche Drohmails. Diese gingen vor allem an die Opferanwält*innen im NSU-Prozess und an sich öffentlich gegen Rassismus engagierende Menschen. In Anlehnung an die NSU-Mordserie, zielten die Angeklagten mit ihren Drohungen darauf ab, den Einsatz ihrer Adressat*innen zu stören. Insbesondere der angeklagte Haupttäter ist polizeibekannt und bereits straffällig sowie in rechtsextremen Internetportalen aktiv gewesen.

Es sind keine Einzelfälle, dahinter stecken rassistische Ideologien, Netzwerke und Strukturen  

Diese Taten sind keine Einzelfälle. Sie hängen miteinander zusammen, indem sie ihre rassistischen Ideologien zu verwirklichen versuchen und durch Netzwerke und Strukturen unterstützt und gedeckt werden. In deutschen Behörden herrscht zudem ein Rassismusproblem, das die Gefahren durch rechten Terror unterschätzt. Die Stigmatisierung von BIPoCs in der Öffentlichkeit führt zudem dazu, dass rassistische Ideologien reproduziert werden.

Anhänger*innen rechter Ideologien befinden sich auch in deutschen Sicherheitsbehörden. Die rechtsextremen Verdachtsfälle haben in den Landespolizeien und der Bundespolizei, in Kriminalämtern sowie in Verfassungsschutzsbehörden zugenommen. Im selben Zusammenhang müssen die Aufdeckungen von rechtsextremen Chatgruppen etwa in der Bundeswehr gesehen werden. Diese verdeutlichen, dass es ein Netz gleichgesinnter Ideolog*innen gibt. Ebenso ist der Fall des Berliner Staatsanwalts anzuführen, der als Leiter der Staatsschutzabteilung von der Ermittlung bei Brandanschlägen durch Rechtsextreme abgesehen hat und dem eine Nähe zur AfD nachgewiesen wurde. Und schließlich die rechtsextreme AfD selbst, die im Bundestag und in den Landtagen sitzt und ihre Redezeit zur Wiedergabe rassistischer Äußerungen im politischen Geschehen ausnutzt.

Rechte Ideolog*innen in den Behörden und ein Mangel an fundierten Kompetenzen zur Einschätzung von rassistischen Vorfällen führen dazu, dass Gefahren durch rechten Terror weiterhin unterschätzt werden. Es besteht auf vielen Ebenen kein Bewusstsein für rechte Ideologien und ihre Symbole. Die Ermittlungen im Zusammenhang zum sog. NSU haben dies auf unmissverständliche Weise gezeigt. Bis zur Selbstenttarnung des sog. NSU im Jahre 2011, hatten Ermittler*innen der Polizei rechtsextreme Hintergründe der Verbrechen weitgehend ausgeschlossen. Stattdessen suchten sie die Täter*innen im Umfeld der Opfer. Diese Reihe an Ermittlungsfehlern hat zu der inzwischen weitverbreiteten Einsicht geführt, dass Ermittlungen von Straftaten, in denen Menschen mit Migrationsgeschichte betroffen sind, mit einer Stigmatisierung und einer Abweichung von objektiven Methoden einhergehen.

Stigmatisierungen von BIPoCs stellen Menschen mit Migrationsgeschichte unter einen Generalverdacht und sind rassistisch. Sie reproduzieren und legitimieren zudem rechte Ideologien und erschüttern das Vertrauen in die Objektivität staatlicher Institutionen. Zur Verdeutlichung kann hierzu der Begriff der sog. Clankriminalität herangezogen werden. Es wird von keiner Seite der Versuch unternommen, zu erklären, was ein „Clan“ in diesem Sinne sein soll. Dennoch wird die sog. Clankriminalität im Zusammenhang mit Straftaten oder Verdachtsfällen genannt, die von Organisationen mit Menschen mit Migrationsgeschichte begangen wurden oder sich im vermeintlich verbrecherischen Lebensbereich rund um Shisha-Bars bewegen. Diese Sonderbezeichnung der organisierten Kriminalität in der medialen Berichterstattung sowie durch politische Entscheider*innen muss deshalb als das bezeichnet werden, was es ist: eine rassistische Gruppenbezeichnung, die Menschen mit Migrationsgeschichte unter gefährlichen Eigenschaften zusammenfasst. Es geht darum, mit Klischees ein Bild über ganze Bevölkerungsgruppen wiederzugeben und diese zu stigmatisieren.

Scheitert der Staat in der Aufklärung von rassistischen Taten, scheitert er in Gänze

Es geht bei der Aufklärung rassistischer Taten um die Frage des grundsätzlichen Vertrauens in den deutschen Staat. Wird eine lückenlose Aufklärung versprochen, dann hat sie auch zu erfolgen. Wir halten es in diesem Sinne mit den Angehörigen der Betroffenen und Ermordeten: genug der warmen Worte.

Der parlamentarische Untersuchungsausschuss zum Attentat in Hanau steht nicht nur unter der genauen Beobachtung der Angehörigen. Viele Fragen sind im Rahmen der Ermittlungen offengeblieben. Es ist die Aufgabe des Untersuchungsausschusses, im Sinne des öffentlichen Interesses, diesen Fragen nachzugehen. Dass die Generalbundesanwaltschaft die Ermittlungen nach Helfer*innen oder Mitwisser*innen eingestellt hat, ist die gesetzliche Folge bei Mangel an konkreten Verdachtsmomenten.

Es ist jedoch vor dem Hintergrund der bereits vorher zahlreich begangenen Fehler unvermeidbar, diese Entscheidung ohne Zweifel hinzunehmen. Nicht ohne Grund war der gemeinsame Nenner der Zeug*innenaussagen der Opfer-Angehörigen des Hanau-Attentats vor dem Untersuchungsausschuss, dass sie ihr Vertrauen in staatliche Institutionen verloren haben. Dieses Vertrauen muss zuerst zurückgewonnen werden. Der Staat ist hier in der Bringschuld.

Das kürzlich begonnene Gerichtsverfahren zum sog. NSU 2.0 hat sich ebenso wesentlichen Fragen zu stellen, die offengeblieben sind. Insbesondere ist die Beteiligung hessischer Sicherheitsbehörden ungeklärt. Inwiefern aus Polizeikreisen persönliche Daten der Adressat*innen der Drohmails an die Täter weitergegeben wurden, muss aufgeklärt werden.

Wir haben kein Verständnis dafür, dass staatliche Institutionen immer wieder darin versagen, Bürger*innen vor rassistischen Angriffen zu schützen. Antirassismus verlangt mehr als das Ermahnen, wenn Rassismus unbemerkt, unbeaufsichtigt oder unbestraft zuschlägt. Antirassismus verlangt auch von staatlichen Institutionen, rassistische Denk- und Verhaltensmuster auszumachen und diese in ihren Strukturen zu bekämpfen. Es ist deshalb an der Zeit, dass eine lückenlose Aufklärung der rassistischen Attentate und Drohungen erfolgt und die richtigen Schlüsse aus dem Scheitern der staatlichen Sicherheitsbehörden gezogen werden. Wir sind es den Opfern schuldig.

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