Solidarische Städte und Sichere Häfen – Ferike Thom & Michelle Rauschkolb
Die Lage an den EU-Außengrenzen ist erschreckend. Menschen fliehen vor Krieg, Verfolgung und Armut und hoffen auf ein besseres Leben für sich und ihre Familien in der EU. Und die EU, die selbst so stolz auf den Frieden und Wohlstand ist, den sie ihren Bewohner*innen bietet, lässt diese Menschen im absoluten Elend an ihren Außengrenzen hausen und das über Jahre. Und egal welche neue Katastrophe sich an den Außengrenzen ereignet – die Entscheider*innen in der EU zeigen sich unbeeindruckt, die Diskussion um eine “europäische Lösung” kommt nicht voran und das Elend hält an.
Bekanntes Elend an den europäischen Grenzen
Wir haben allein im letzten Jahr Berichte von gewalttätigen Push Backs durch die europäische Grenzsicherungsagentur Frontex und die nationalen Sicherheitsbehörden auf See und an Land gesehen. Push Backs, also das Zurückweisen von Geflüchteten widerspricht dem Völkerrecht, trotzdem ist es passiert und für die Verantwortlichen weitgehend ohne Konsequenz geblieben.
Wir haben gesehen, wie rechte Mobs an die Außengrenzen gereist sind, um Flüchtende zu verprügeln und die örtlichen Sicherheitsbehörden das toleriert haben. Wir haben gesehen, wie das für seine menschenunwürdigen Lebensumstände berüchtigte Lager Moria abgebrannt ist und den Bewohner*innen einfach ein Behelfslager auf einem bleiverseuchten Ex-Militär-Übungsplatz aufgebaut wurde, in dem die Umstände nochmals dramatischer sind.
Wir haben gesehen, wie sich die Situation im bosnischen Lager Lipa weiter zuspitzte und Geflüchtete ohne Schutz im Schnee bei Minusgraden ausharren mussten. Wir haben das gesehen. Die EU-Kommission und die Mitgliedsstaaten haben das auch gesehen und nichts unternommen.
Blockaden auf allen Ebenen
Die Diskussion um eine europäische Lösung hält nun schon ewig an, aber sie kommt nicht voran. Die Menschen an den Außengrenzen brauchen aber jetzt Hilfe und haben auch ein Recht darauf, diese schnell zu bekommen. Ein deutscher Alleingang um der humanitären Hilfsverpflichtung nachzukommen, wird von den Koalitionspartnerinnen CDU und CSU blockiert.
Die marginalen vermeintlichen Kompromisse, zu denen sich die Union im Koalitionsvertrag und Koalitionsausschuss bereit zeigten, ist beschämend. Aber sie blockiert nicht nur auf Bundesebene die Aufnahme Geflüchteter, sondern stellt sich auch in den Weg, wenn einzelne Bundesländer und Kommunen Menschen aufnehmen wollen.
Und davon gibt es viele: Neben Niedersachsen, Berlin, Bremen, Hamburg, Thüringen und Schleswig-Holstein haben sich über 200 Städte in Deutschland zu sogenannten Sicheren Häfen erklärt und wollen Geflüchteten ein sicheres Zuhause bieten. Und das ist auch rechtlich möglich: Im Aufenthaltsgesetz des Bundes steht, dass die Bundesländer eigene Landesaufnahmeprogramme definieren können. Dabei müssen sie benennen, welche Gruppen sie konkret aufnehmen wollen. Berlin, Thüringen und Bremen haben das getan.
Allerdings müssen diese Landesaufnahmeprogramme “im Einvernehmen mit dem Bundesinnenministerium” erfolgen und hier blockiert Bundesinnenminister Horst Seehofer. Alle drei Landesaufnahmeprogramme wurden mehr oder weniger mit den gleichen vorgeschobenen bürokratischen und verwaltungstaktischen Argumenten abgelehnt. Dahinter steckt aber nur die menschenfeindliche Position eines Mannes, der sich darüber freut, dass an seinem 69. Geburtstag 69 Geflüchtete in ihr für sie lebensgefährliches Herkunftsland Afghanistan abgeschoben wurden.
Rot-rot-grüne Länder kämpfen weiter für die Aufnahme Geflüchteter
Berlin und Thüringen haben im Herbst letzten Jahres eine Bundesratsinitiative gestartet, um den entsprechenden Gesetzestext so zu ändern, dass der Bundesinnenminister über die Landesaufnahmeprogramme nur noch informiert werden muss, jedoch kein Veto-Recht mehr hat. Diese Initiative wurde im Bundesrat jedoch abgelehnt.
Im Januar 2021 hat das Land Berlin nun Klage eingereicht gegen das Bundesinnenministerium. Es geht vor allem um die Auslegung des entsprechenden Paragrafen (§23 Abs. 1 AufenthG): Das Land Berlin vertritt die Position, dass das Bundesinnenministerium sein Einvernehmen zur Aufnahme von Geflüchteten durch Landesaufnahmeprogramme nicht einfach so vorenthalten kann, sondern diese Ablehnung begründet sein muss. Dazu reichen auch keine bürokratischen Ausreden.
Als Jusos begrüßen wir es sehr, dass sich auch die SPD-Bundestagsfraktion in dieser Frage hinter das Land Berlin gestellt hat und selbst aktiv geworden ist bezüglich der Änderung des Gesetzes. Die Bundestagsfraktion hat vorgeschlagen, den entsprechenden Paragrafen wie folgt zu ergänzen: „Das Einvernehmen gilt als erteilt, wenn das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat nicht innerhalb von vier Wochen begründete, die innere Sicherheit oder die Aufnahmebereitschaft anderer Staaten betreffende Bedenken geltend macht.“
Diese Initiative zur Gesetzesänderung ist dringend notwendig, auch weil es mindestens ein Jahr dauern wird, bis die Klage behandelt wird. Solange können die Menschen an den Außengrenzen nicht warten. Sie brauchen umgehend Hilfe und müssen aus den Lagern raus und in ein sicheres Zuhause gebracht werden.
Wir wollen weiter!
Die Obergrenzen- und Kontingentkompromisse, die mit der Union in der Regierung machbar waren, sind beschämend gering. Aktuell werden aber sogar diese weit unterschritten und noch weniger Geflüchtete aufgenommen, als eigentlich vereinbart. Das muss bis zum Ende der Legislaturperiode unbedingt nachgeholt werden!
Natürlich wäre eine vereinte europäische Lösung, bei der die Länder an den Außengrenzen nicht länger allein gelassen werden und in der Geld statt Menschen umverteilt werden, richtig. Doch wir warten schon seit Jahren auf diese Lösung warten und es zeichnet sich überhaupt kein Vorankommen ab. Deshalb müssen wir auf andere Wege setzen.
Die dezentrale Aufnahme von Geflüchteten direkt durch die Kommunen muss auch auf europäischer Ebene Praxis werden. Nach Jahren der Blockaden, gerade durch einzelne rechtskonservative und migrationsfeindliche Nationalregierungen, sehen wir hier den einzigen Weg, europäischer Solidarität in dieser Frage wenigstens ein Stück näherzukommen.
Denn die sicheren Häfen gibt es nicht nur in Deutschland: Europaweit haben sich viele Kommunen zu sicheren Häfen erklärt und wollen Menschen in Not ein Zuhause bieten – auch in Staaten, die sich entschieden dagegen positionieren.
Es geht nicht um Migration, sondern um Solidarität
Die vielbeschworene “Migrationskrise” ist nämlich in Wirklichkeit eine Solidarititätskrise. Eine Koalition der Willigen (Städte und Kommunen) zeigt, dass es progressive Wege gibt, den Herausforderungen zu begegnen, statt sich weiter nach rechts zu bewegen.
Ein Negativbeispiel sind die dänischen Genoss*innen, die sich beim Abschottungswettbewerb mit Orbán und Co. in der zunehmend uneinnehmbaren Festung Europa den ersten Platz sichern wollen. Ihre Zielvorgabe: 0 Asylanträgen in ihrem Land.
Migration ist ein kontinuierlicher Prozess. Die SPD muss vorangehen und zeigen, dass es in der Verantwortung der Sozialdemokratie liegt, sich Freiheit und Gerechtigkeit nicht nur auf die Fahne zu schreiben, sondern durch eine humane Asyl-und Migrationspolitik ein gutes Leben für alle zu ermöglichen. Das gilt nicht nur für Menschen mit einem bestimmten Pass.
Unsere Vision: Eine Welt ohne Grenzen
Wir Jusos sind Internationalist*innen: Ein Mensch in Deutschland oder in Europa ist uns nicht näher als ein Mensch irgendwo sonst auf der Welt. Grenzen trennen uns.
Wir machen uns als Jusos viele Gedanken darüber, wie ein europäisches Asylsystem gerecht gestaltet werden müsste. Dass wir humanitäre Korridore brauchen und sichere Fluchtwege. Keine Deals mit autokratischen Regierungschef*innen mehr oder das Knüpfen von Geldern zur Entwicklungszusammenarbeit an Migrationsabwehr.
Stattdessen wollen wir Herkunftsländer darin unterstützen, sich gegen den Klimawandel zu wehren und wirtschaftlichen Aufschwung sozial und gerecht zu gestalten. Frontex –hört abgeschafft. Die EU sollte alternativ eine Seenotrettungmission einsetzen – die Menschenleben schützt statt Grenzen.
Aber auch das ist nicht die Welt für die wir eigentlich kämpfen. Wir machen uns stark für eine gerechte Weltordnung, die überall und für alle gute Lebensverhältnisse schafft – materiell, sicher und frei. In dieser Welt gibt es keine Grenzen, die Menschen trennen und einengen. Hier kann jede*r frei entscheiden, wo sie*er leben will.