Warum Rowlings Äußerungen über trans Menschen problematisch sind und unser Feminismus trans-inklusiv sein muss – A. Ludwig-Dinkel
Trigger-Warnung: In diesem Text werden transfeindliche Aussagen zitiert und sexualisierte Gewalt erwähnt.
Ich liebe Harry Potter. Wirklich. Vielleicht so sehr, dass es manchmal irritierend für die Leute in meinem Umfeld ist. Und genau deshalb wünsche ich mir, dass J.K. Rowling einfach mal den Mund gehalten hätte.
Die Harry Potter Autorin J.K. Rowling ist schon in der Vergangenheit mit queerfeindlichen Aussagen aufgefallen (z.B.: Werwölfe als Metapher für HIV/Aids), aber diesen Monat, ausgerechnet im Pride Month, hat sie den Vogel endgültig abgeschossen. Nach einer Reihe von transfeindlichen Tweets, auf die ein Shitstorm folgte, hat sie einen Essay veröffentlicht, in dem sie sich erklärt. Allerdings ist er nur ein weiterer Schlag ins Gesicht von trans Menschen.
Ausgelöst wurde die aktuelle Debatte von einem Tweet Rowlings, in dem sie sich über die inklusive Bezeichnung „menstruierende Menschen“ lustig machte. Sie implizierte, dass es lächerlich sei, nicht einfach „Frauen“ zu sagen. So einfach ist es aber nun mal in der Realität nicht. Nicht alle Frauen menstruieren und nicht alle Menschen, die menstruieren, sind Frauen. Viele trans Männer und nicht-binäre Menschen menstruieren, ebenso wie viele Frauen, trans wie cis, aus den verschiedensten Gründen eben nicht menstruieren. Für diese Menschen kann es triggernd sein, wenn Menstruation mit Frau-Sein gleichgesetzt wird.
In ihrem Essay spricht Rowling erstmals öffentlich darüber, dass sie eine Überlebende von häuslicher Gewalt und sexueller Nötigung ist. Ich habe großen Respekt vor ihr dafür, dass sie das publik macht. Unsere patriarchalen Gesellschaften gehen grausam mit den Überlebenden sexualisierter Gewalt um. Oft wird den Betroffenen nicht geglaubt oder ihnen selbst die Schuld an dem gegeben, was geschehen ist. Die Täter*innen werden in den seltensten Fällen verurteilt. Es muss für Rowling schwer sein, darüber zu sprechen. Ich möchte ihr auf keinen Fall ihre Erfahrung und Legitimität absprechen. Ich glaube ihr.
Was ich nicht verstehe, ist, warum sie ausgerechnet in diesem Kontext darüber spricht. Sie schreibt, dass sie keine Sympathie für ihre Geschichte will, sondern „aus Solidarität mit der großen Zahl von Frauen mit einer ähnlichen Geschichte wie der ihren handelt, die als Fanatikerinnen gebrandmarkt wurden, weil sie sich Sorgen um Räume machen, die nur einem Geschlecht vorbehalten sind“. Sie schreibt, dass durch neue Gesetze ein „Mann“ einfach nur sagen muss, „er“ sei eine Frau, um eine zu sein. Das setzt sie dann in Verbindung mit Männern, die Täter sexualisierter Gewalt sind. Sie unterstellt indirekt also trans Frauen, die sie dreist als „Männer“ bezeichnet, Vergewaltiger*innen zu sein. Das ist besonders gemein, wenn mensch bedenkt, dass trans Frauen mindestens genau so sehr unter sexualisierter Gewalt leiden, wie alle Frauen im Patriarchat. Einigen Statistiken zufolge haben trans Frauen sogar ein höheres Risiko, Opfer sexualisierter Gewalt zu werden.
Das ist eine typische Argumentation von TERFs (trans-exclusionary radical feminist). Trans Frauen werden zu potenziellen Täterinnen gemacht, sie werden dargestellt als „Männer, die behaupten sie wären Frauen“ um in Safer Spaces einzudringen. Das ist schade, denn das Grundanliegen um sichere Räume frei von Männern, wahlweise frei von cis Männern, ist durchaus legitim. Aber warum muss es auf dem Rücken von trans Frauen ausgetragen werden? Mensch kann auch für Safer Spaces kämpfen, ohne transfeindlich zu sein. Alle Frauen, nicht-binären, inter und trans Menschen sollten ein Recht auf Safer Spaces haben. Cis Männer, die in Safer Spaces eindringen, sind ein Problem des Patriarchats, nicht des Trans-Aktivismus. Trans Frauen sind Frauen und wollen auch einfach eine Toilette oder Umkleide benutzen können, wie jede andere Frau auch. „Equal rights for others does not mean less rights for you. It’s not pie.“
Trans Männer hingegen erwähnt Rowling lediglich, um zu argumentieren, dass TERFs nicht transfeindlich seien. Schließlich würden sie trans Männer in ihren Aktivismus einschließen, da diese „als Frauen geboren wurden“ (was an sich schon eine transfeindliche Aussage ist). Transfeindlich sind Rowlings Aussagen ohne Zweifel. Zum Beispiel bezeichnet sie trans Frauen immer wieder als „Männer“ und trans Jungen als „Mädchen“. Allein dieser Sprachgebrauch zeigt, dass sie die geschlechtliche Identität dieser Menschen nicht anerkennt. Dazu wiederholt sie immer wieder in guter Tokenismus-Manier, dass sie viele trans Menschen kenne und einige trans Menschen auch ganz ihrer Meinung seien. Warum gibt sie dann nicht all diesen trans Menschen ihre Bühne anstatt sich als cis Frau eine Deutungshoheit über Transidentität anzumaßen?
Stattdessen drängt sie sich in eine Opferrolle, indem sie immer wieder die Meinungsfreiheit betont. Dabei hat ihr diese niemand abgesprochen: sie ist weltberühmt und hat eine große Reichweite. Sie kann ihre Meinung ruhig äußern. Nur muss sie dann auch damit rechnen, dass andere von ihrer Meinungsfreiheit Gebrauch machen und ihr erklären, dass ihre Meinung transfeindlich ist.
Rowling spielt in ihrem Essay cis Homo*sexuelle und cis Feministinnen gegen trans Menschen aus, indem sie trans Menschen, insbesondere trans Frauen, immer wieder als Gefahr darstellt. Rowling sieht sich als Beschützerin des „biologischen Geschlechts“, sie schwafelt von „mutigen Frauen und Männern“ mit denen sie gemeinsam die „verletzlichsten Mitglieder unserer Gesellschaft“ schützen würde: „junge homosexuelle Kinder“ und „zerbrechliche Teenager“.
Rowling verdreht in ihrem Essay Argumente, misgendert Menschen, spricht trans Menschen ohne Hormontherapie oder geschlechtsangleichende Operationen ihre Transidentität ab und behauptet, dass Trans-Aktivist*innen feministische Kämpfe untergraben würden. Sie zeigt damit ganz klar, dass sie nichts vom Freiheitskampf transidenter Menschen verstanden hat. Trans-Aktivismus wird als eine Ideologie dargestellt, die Geschlechter abschaffen will, Frauen ihre mühsam über Jahrhunderte erkämpften Rechte wegnehmen will, junge Mädchen dazu bringt, dem Patriarchat entkommen zu wollen, indem sie ihr Frau-Sein aufgeben und sowieso total gefährlich ist. Das ist Unsinn. Trans-Aktivist*innen kämpfen für geschlechtliche Selbstbestimmung und Gleichstellung. Sich für Trans-Rechte einzusetzen heißt, sich für Feminismus einzusetzen. Wenn wir tatsächlich gegen Diskriminierungen kämpfen wollen, dann müssen wir das konsequent gegen jede Art von Diskriminierung tun. Wir müssen unseren Feminismus intersektional denken und umsetzen. Denn wir alle haben einen gemeinsamen Feind: das Patriarchat.
Begriffserklärungen:
TERF: trans exclusionary radical feminist
Cis: beschreibt, dass die Geschlechtsidentität eines Menschen mit dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht übereinstimmt (z.B.: cis Mann= Mann, der mit einem Penis geboren wurde)
Trans: Hier als Sammelbegriff für Menschen, deren Geschlechtsidentität nicht mit dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht übereinstimmt (z.B.: trans Mann= Mann, der nicht mit einem Penis geboren wurde)
Safe(r) Spaces: Schutzräume für diskriminierte Gruppen
Inter: beschreibt biologische Besonderheiten bei der Geschlechtsdifferenzierung
Nicht-binär: Hier als Sammelbegriff für Menschen, deren Geschlechtsidentität außerhalb des binären Mann-Frau-Systems liegt
Misgendern: Das Geschlecht einer Person falsch bezeichnen, beispielsweise durch inkorrekte geschlechtsspezifische Begriffe oder Pronomen
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A. Ludwig-Dinkel