Gute Ausbildung – Garantiert – Philipp Türmer

- Posted by Author: Kristina Kiel in Category: Artikel 02/22 | 6 min read

Unsere Erwartungen an die Ausbildungsplatzgarantie und eine gute Ausbildung:

Die Debatte um die Zukunft der Ausbildung ist nicht frei von Widersprüchen. Einerseits wird von allen Seiten betont, wie zukunftsträchtig insbesondere die betriebliche Ausbildung wäre und wie die Bundesrepublik international um die duale Ausbildung beneidet würde. Andererseits wurde 2020 ein Negativrekord bei den abgeschlossenen Ausbildungsverträgen eingestellt und auch 2021 ist nur eine leichte Erholung zu beobachten gewesen. Im Koalitionsvertrag ist es auf gemeinsamen Druck insbesondere der Gewerkschaftsjugenden und der Jusos gelungen, die Ausbildungsgarantie als Projekt der Ampelkoalition zu verankern. Sie stellt ein potentiell wirkmächtiges Mittel dar, um eine Ausbildung wieder für mehr junge Menschen zu einer attraktiven Alternative für die Gestaltung des eigenen Berufs- und Lebenswegs zu machen.

Ausbildungsplätze sind weiterhin Mangelware

2019 fanden 25.000 ausbildungswillige Jugendliche keinen Ausbildungsplatz. Wenn Unternehmensverbände darauf verweisen, dass die Zahl der unbesetzten Ausbildungsstellen mit über 60.000 im selben Jahr ebenfalls ein Rekordniveau erreichte, dann versuchen sie ihre eigene Verantwortung zu verschleiern. Denn immer weniger Unternehmen bilden aus. Auch von größeren Unternehmen bietet nur noch jedes fünfte Ausbildungsplätze an. Das führt dazu, dass es häufig an Ausbildungsangeboten in der Fläche fehlt. Ein unbesetzter Ausbildungsplatz in Stuttgart wird einem jungen Menschen in Lübeck, dem es nicht möglich ist, von heute auf morgen umzuziehen, wenig helfen. Auch sagen die reinen Zahlen nichts darüber aus, welche Ausbildungsplätze unbesetzt bleiben. Jeder Jugendliche sollte nach seinen Interessen und Begabungen eine Ausbildung wählen dürfen. Ein unbesetzter Ausbildungsplatz in einem Friseurbetrieb, wird dem- oder derjenigen, die*der gerne Augenoptiker*in werden möchte, wenig helfen. Zuletzt ist festzustellen, dass hinter dem andauernden Klagen vieler Unternehmen, dass es Ausbildungsbewerber*innen zunehmend an den notwendigen Vorkenntnissen insbesondere im mathematischen Bereich fehle, vielfach nicht mehr steckt, als die fehlende Bereitschaft, im Rahmen einer qualitativ hochwertigen Ausbildung, selbst ausbildungsrelevante Inhalte im Betrieb zu vermitteln. Die duale Ausbildung nimmt nicht nur den Staat als Bildungsträger in die Pflicht, sondern eben auch die Unternehmen. Azubis sind nicht billige Arbeitskräfte, sondern bedürfen insbesondere in den ersten Lehrjahren der Begleitung durch gut geschulte Betreuer*innen auch im Betrieb. Gerade kleinere und mittlere Betriebe scheuen hier teilweise den Aufwand. Deswegen bleibt die Forderung nach einer Ausbildungsplatzgarantie aktuell wie Eh und Je. Junge Menschen verdienen einen gesetzlichen Anspruch, eine Ausbildung, die ihren Interessen und Fähigkeiten entspricht, in ihrer Region aufnehmen zu dürfen. Einerseits, weil sie das Recht auf die freie Wahl ihres Berufs genießen, andererseits aber auch, weil wir es uns als Gesellschaft nicht leisten können, jedes Jahr mehrere Tausend potentielle Fachkräfte zu verlieren.

Es kommt auf die Qualität der Ausbildung an

Ausbildung ist nicht gleich Ausbildung. Insbesondere mit der fortschreitenden Digitalisierung ist es immer wichtiger, in einer Ausbildung allgemeine und breit qualifizierende Fähigkeiten zu vermitteln, die auch auf potentielle Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt vorbereiten. Deshalb lehnen wir die Bemühungen der Arbeitgeberseite, mit einer sogenannten Modularisierung der Ausbildung defacto nichts anderes als eine Schmalspurausbildung einzuführen, weiterhin ab. Der Goldstandard dafür bleibt weiterhin die duale Ausbildung in Berufsschule und Betrieb. Eine Ausbildungsgarantie muss immer zum Ziel haben, Auszubildende, die sich in letzter Konsequenz für eine schulische Ausbildung entscheiden, wenn möglich so schnell es geht, in eine betriebliche Ausbildung zu vermitteln.

Zudem gilt es aber, das bestehende und insbesondere auf zwei Säulen beruhende Ausbildungssystem in der Bundesrepublik um eine dritte Säule durch die flächendeckende Einführung der Verbundausbildung zu erweitern. Dabei müssen in enger Abstimmung mit den Sozialpartnern überbetriebliche Bildungszentren geschaffen werden, in denen ein Teil der Vermittlung der betrieblichen Qualifikationen stattfindet. Vielfach sind hochspezialisierte oder kleine Betriebe nicht in der Lage, das volle Spektrum der betrieblichen Ausbildungsinhalte im eigenen Unternehmen ausreichend zu vermitteln. Diese Lücke kann durch solche Zentren geschlossen werden, ohne eine Ausbildung komplett in den schulischen Bereich zu überführen. Damit kann die Hürde für kleinere Unternehmen gesenkt werden, Ausbildungsplätze anzubieten und das Niveau der Ausbildung insgesamt gesteigert werden.

Eine Ausbildungsgarantie ist immer auf die Rückfalloption in die schulische Ausbildung angewiesen. Das Leitbild einer Ausbildung, die nach Möglichkeit nah an der Praxis und dem Betrieb stattfindet, sollte aber beibehalten werden. Die Einführung einer flächendeckenden Verbundausbildung kann dafür einen maßgeblichen Beitrag leisten.

Wertschätzung bemisst sich nicht nur, aber auch in Zahlen

Wer die Ausbildung aufwerten will, der muss vor allem die Ausbildungsverhältnisse verbessern. Mit der Einführung der Mindestausbildungsvergütung ist ein erster Schritt getan worden. Diese gilt es stetig nach oben anzupassen, denn die Arbeit, die Azubis leisten, muss entsprechend vergolten werden. Viele Privilegien darüber hinaus, die Studierenden selbstverständlich erscheinen, existieren bislang nicht für Auszubildende. Genau wie für andere junge Menschen sind insbesondere kostengünstige Mobilität und bezahlbares Wohnen entscheidend für ein selbstbestimmtes Leben. Während allerorts Studitickets der Standard sind, sind Azubitickets die Ausnahme. Auch gibt es nur an wenigen Orten bislang Wohnheime für Azubis. Beides muss sich ändern. Zwar fällt beides in die gesetzgeberische Verantwortung der Länder, diesen mangelt es aber vielfach an den notwendigen finanziellen Kapazitäten. Im Rahmen der Ausgestaltung der Ausbildungsgarantie ist es am Bund, hierfür Programme aufzulegen, die die Länder befähigen, entsprechende Angebote für Azubis vorzuhalten. Nicht zuletzt in den Ausbildungsbedingungen bemisst sich die gesellschaftliche Wertschätzung für Azubis. Die Ausbildungsgarantie sollte als einmalige Möglichkeit verstanden werden, die Trendwende in der Ausbildung herbeizuführen und die Missstände umfassend zu beheben, die seit Jahren für die sinkende Attraktivität der Ausbildung verantwortlich sind. Die Ausbildungsgarantie ist keine isolierte Maßnahme, die alleine zum Erfolg führen wird. Nur in Kombination mit grundsätzlichen Verbesserungen der Situation von Auszubildenden wird sie erfolgreich sein.

Solidarische Finanzierung, wir bleiben dran, garantiert

Wie eine Ausbildungsgarantie finanziert werden soll – dazu schweigt der Koalitionsvertrag. Wir bleiben bei unserer Forderung: Am Ende müssen diejenigen bezahlen, die am meisten von hochqualifizierten Fachkräften profitieren: Die Unternehmen. Viel zu viele Unternehmen stehlen sich aktuell aus der Verantwortung und vertrauen darauf, dass andere die Kosten für die Ausbildung ihrer zukünftigen Angestellten tragen, während sie selbst keine Ausbildungsplätze anbieten. Bereits jetzt existieren Beispiele, in denen Unternehmen, die nicht ausbilden, in einen Branchenfonds einzahlen, aus dem einerseits ausbildende Unternehmen unterstützt werden und andererseits Einrichtungen wie Bildungszentren, wie sie für die Verbundausbildung benötigt würden, unterstützt werden können. Wir sind weiterhin der festen Überzeugung, dass die Finanzierung über solche, branchenspezifische Fonds sich auch für die Ausbildungsgarantie empfiehlt, denn sie würde den Druck auf Unternehmen, die nicht ausbilden, weiter erhöhen.

Für uns ist aber auch klar: Am Ende darf die Ausbildungsgarantie nicht an der Finanzierung scheitern. Im Kern steht, dass der Anspruch auf einen Arbeitsplatz für junge Menschen gesetzlich verankert wird. Gerade, wenn Europa auf wirtschaftlich unsichere Zeiten zusteuert, darf an der Ausbildung nicht gespart werden. Für unsere Zukunft ist es entscheidend, dass jede*r einen Anspruch auf eine hochqualifizierte Ausbildung hat, die sie oder ihn in die Lage versetzt, selbstbestimmt den eigenen Berufs- und Lebensweg zu gehen. Die Einführung der Ausbildungsgarantie ist dafür ein wesentlicher Baustein.

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