Bundestagswahl 2021: Was fordert die DGB Jugend? – Interview mit Manuela Conte

- Posted by Author: Pauline Schur in Category: Artikel 03/21 | 5 min read

Die Corona-Pandemie hat viele Ungerechtigkeiten verschärft. Gerade junge Menschen und damit aus Auszubildende hat die Pandemie hart getroffen. Wie haben sich Ausbildungen während Corona verändert? Was erlebt ihr als Gewerkschaftsjugend alltäglich?

Die Pandemie dauert bereits länger als ein Jahr. Viele Auszubildende erlernen ihren Beruf praktisch seitdem im Ausnahmezustand unter extrem erschwerten Bedingungen. Sie sind dabei doppelt betroffen an ihren zwei Lernorten. Sowohl in den Berufsschulen als auch in vielen Betrieben gestaltet es sich schwierig.

In den Betrieben sind vielfach die Ausbilder*innen – also die Fachkräfte, die den Auszubildenden mit Rat und Tat zur Seite stehen sollen – in Kurzarbeit oder in mobiler Arbeit. Das erschwert es enorm, prüfungsrelevante Arbeitsprozesse zu vermitteln und zu erlernen. Die Prüfung am Ausbildungsende wird ja dennoch vollständig stattfinden. Das betrifft übrigens Branchen in und ohne Lockdown. Denn auch in Betrieben, die nicht vom Lockdown betroffen sind, erschweren die verschärften Hygienebestimmungen das gemeinsame Lernen – Ausbildungsgruppen werden aufgeteilt usw. Das hat natürlich Folgen. In unserem Online-Beratungsforum Dr. Azubi laufen außerdem zunehmend viele Klagen von Auszubildenden ein, die von den Arbeitgeber*innen zu ausbildungsfremden Tätigkeiten verdonnert werden, die z.B. Renovierungsarbeiten oder Aufgaben von Fachkräften aus anderen Arbeitsbereichen übernehmen müssen.

In den Berufsschulen, dem zweiten Lernort für Auszubildende, hat uns Corona dramatisch vor Augen geführt, wo in den letzten Jahren viel zu wenig investiert wurde. Das können die Kultusministerien nun nicht länger ignorieren. Wir brauchen massive Investitionen für eine bessere technische Ausstattung, für bessere Schulgebäude, aber auch bessere Arbeitsbedingungen und Qualifizierungsangebote für Berufsschullehrer*innen.

Eine Forderung, für die wir Jusos uns erfolgreich im SPD-Zukunftsprogramm stark gemacht haben, ist die Ausbildungsgarantie. Was ist eine Ausbildungsgarantie und was fordern die Gewerkschaftsjugenden?

Es ist großartig, dass die Ausbildungsgarantie mit einer klugen Umlagefinanzierung im SPD-Zukunftsprogramm verankert ist. Wir nennen diese Umlage „Zukunftsfonds“, in den alle Betriebe branchenübergreifend einzahlen müssen. Betriebe, die ausbilden werden aus diesem Zukunftsfonds unterstützt. Das fördert insbesondere die, die ausbilden wollen, aber aktuell zu wenige Ressourcen dafür haben. Gleichzeitig werden jene Unternehmen in Verantwortung geholt, die ihrer Verantwortung gegenüber unserer Generation – aber auch gegenüber der Volkswirtschaft als Ganzes – nicht gerecht werden. Als Gewerkschaftsjugend erwarten wir, dass Politik und Betriebe JETZT handeln. Wir sagen: Fachkräfte ausbilden oder Profite abdrücken!

Warum das relevant ist? Schon vor Corona haben mehr als 80 Prozent aller Betriebe nicht mehr ausgebildet. Aktuell sinkt der Ausbildungsmarkt auf ein historisches Tief. Minus 11 Prozent abgeschlossene Ausbildungsverträge – selbst in der globalen Finanzkrise 2008 gab es keinen so starken Einbruch. Es reicht deshalb nicht mehr, hier und da ein paar Symptome am Krankenbett der beruflichen Bildung zu bekämpfen. Die Berufsbildung in Deutschland braucht eine strukturelle Therapie auf gesetzlicher Ebene. Das kann mit der umlagefinanzierten Ausbildungsplatzgarantie gelingen.

Und wie kann die konkrete Ausgestaltung einer Ausbildungsgarantie aussehen? 

Dreh- und Angelpunkt ist der bereits angesprochene, branchenübergreifende Zukunftsfonds. Er funktioniert als Umlagefinanzierung zwischen ausbildenden und nicht-ausbildenden Betrieben. Im Gegensatz dazu wird beispielsweise in Österreich eine Ausbildungsgarantie auch aus Steuern finanziert. Das ist für uns der falsche Weg, denn es kann nicht sein, dass Steuerzahler*innen Betriebe nun auch noch dafür subventionieren, dass sie ihrer Verantwortung Fachkräfte auszubilden, nicht nachkommen.

Außerdem gehört für uns auf jeden Fall auch ein gesetzlich garantierter Anspruch auf einen Ausbildungsplatz dazu, den alle jugendlichen Ausbildungsinteressierten bis 27 Jahre haben sollten. Garantiert wird damit der Einstieg in das erste Ausbildungsjahr einer drei- oder dreieinhalbjährigen vollqualifizierenden Ausbildung. Eine betriebliche Ausbildung muss dabei immer Vorrang haben und soll entsprechend durch den Zukunftsfonds gefördert werden. Sollte kein betrieblicher Ausbildungsplatz vermittelt werden, können auch mehrere Arbeitgeber im kooperativen Verbundmodell Plätze anbieten. Erst wenn das nicht gelingt, darf als letzte Linie außerbetrieblich bei einem Träger oder einer berufsbildenden Schule ausgebildet werden. Und wenn in diesem Fall nach dem ersten Ausbildungsjahr der Übergang in eine betriebliche Ausbildung immer noch nicht klappt, wird die Ausbildung beim Träger bis zum Berufsabschluss garantiert. Klar ist, auch bei einer außerbetrieblichen Ausbildung gilt: Qualitätsstandards müssen eingehalten werden. Die gesetzliche Mindestausbildungsvergütung gilt uneingeschränkt auch hier.

Die Ausbildungsgarantie nimmt also Unternehmen in die Pflicht. Damit ist es aber allein nicht getan. Was muss sich noch an den Ausbildungsbedingungen ändern?

Unser jährlich erscheinender Ausbildungsreport der DGB-Jugend zeigt: Junge Menschen wollen eine hochwertige Ausbildung, die sie vorbereitet auf die digitale Arbeitswelt. Dass diese Erwartung endlich Realität wird, dafür kämpfen wir als Gewerkschaftsjugend. Dabei geht es um mehr, als WLAN-Router in allen Berufsschulen aufzustellen. Wir wollen Bildungsgerechtigkeit. Das heißt, eine moderne, umfassende Ausbildung – eine Ausbildung 4.0. Sie soll allen jungen Menschen offenstehen, unabhängig von ihrer Herkunft und ihren sozialen und familiären Voraussetzungen. Gute Ausbildungsqualität und gute Perspektiven nach der Ausbildung gibt es – auch das zeigt der Ausbildungsreport jedes Jahr – vor allem dort, wo es starke Betriebsräte, starke Jugend- und Auszubildendenvertretungen und die guten Tarifverträge der DGB-Gewerkschaften gibt.

Wie kann für Auszubildende gewährleistet werden, dass ihre Bedürfnisse im Betrieb berücksichtigt werden?

In diesem Punkt wiederhole ich mich als Gewerkschafterin gerne: Es sind die vielen, großartigen Betriebsräte, die Jugend- und Auszubildendenvertretungen, die gewerkschaftlichen Vertrauensleute, die mit ihrem Engagement dafür sorgen, dass tagtäglich die Interessen der Belegschaften in ihren Betrieben vertreten werden. Sie sind es, die immer ein offenes Ohr haben und die keine Auseinandersetzung mit den Chef*innen scheuen, wenn es hart auf hart kommt. Und sie sind es auch, die dafür sorgen, dass die Auszubildenden gehört werden. Sie setzen sich dafür, dass die Ausbildungsqualität und die Perspektiven nach der Ausbildung stimmen. Deshalb ist es gut, dass junge Stimmen auch im Betriebsrätemodernisierungsgesetz von Bundesminister Hubertus Heil gestärkt wurden. Das Engagement der Kolleg*innen im Betrieb, gemeinsam mit den guten Tarifverträgen der DGB-Gewerkschaften und mit unserem Einsatz für bessere Gesetze wird deutlich: Mitbestimmung wirkt! Deshalb: Rein in die Gewerkschaften!

Was ist euch noch besonders wichtig für die Zukunft der Ausbildung? Welche Forderungen habt ihr?

Erstens wollen wir, dass der Ausbildungsplatz safe ist. Und das heißt für uns eben auch, dass Auszubildende nach der Abschlussprüfung unbefristet übernommen werden, damit sie eine klare Perspektive bekommen.

Zweitens müssen dual Studierende im Betrieb endlich mit dualen Auszubildenden gleichgestellt werden. Wer den  Begriff „duales Studium“ nicht kennt – das ist ein spannender und immer beliebter werdender Bildungsweg, der ein Studium an einer Hochschule mit einer zumeist dualen Berufsausbildung oder längeren Praxisphasen in einem Unternehmen verbindet. Das Problem: Aktuell gibt es kaum gesetzliche Vorgaben dafür. Die dual Studierenden sind kompletter Willkür ausgesetzt. Klingt irre? Ist auch so. Und das muss sich ändern! Da muss die nächste Bundesregierung unbedingt ran. Auch dafür kämpfen wir mit unserer Bundestagswahl-Kampagne „PRESS START – Es geht um unser JETZT!“

Die Fragen stellte Lasse Rebbin aus dem Juso-Bundesvorstand.

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