Ain’t I a woman? Fehlende Repräsentation von Schwarzen Frauen und Women of Color – Sarah Mohamed & Mattea Mentges & Nathaly Kurtz

- Posted by Author: Pauline Schur in Category: Artikel 1/20 | 8 min read

Im Jahr 1851 stellte Sojourner Truth auf dem Frauenkongress in Akron, Ohio ihre berühmte Frage „Ain’t I a woman?“. Allgemeine Frauen*-Rollenbilder und Umgang mit Frauen* entsprechen nicht ihrer Realität, denn sie wird als Schwarze Frau anders behandelt und es werden andere Erwartungen an sie gerichtet.

Fast 200 Jahre später ist diese Perspektive immer noch kaum sichtbar. Der „Mainstream-Feminismus“ ist ein Feminismus von und für Weiße mittelständische cis-Frauen.

Um dieser Perspektive einen Namen zu geben, prägte Kimberlé Crenshaw den Begriff Intersektionalität.

Intersektionalität beschreibt die mehrfach Diskriminierung aufgrund verschiedener Faktoren wie Rassismus, Klassismus, Homo- und Transfeindlichkeit, Behindertenfeindlichkeit und Sexismus. Dabei geht es um die Anerkennung der Schnittmenge (engl.: intersection) und des Zusammenspiels dieser, da zum Beispiel eine Schwarze Frau anders diskriminiert ist, als eine Weiße Frau und anders als ein Schwarzer Mann. Im Fokus liegt hierbei immer noch die Kategorie ,,Frau’’ und damit einhergehende Erfahrungen. 

Zu oft erscheinen im Kampf gegen Diskriminierung die unterschiedlichen Formen als Auflistung. Unterschiedliche Diskriminierungsformen können sich bei einer Person überlappen. Diese Mehrfachdiskriminierung wird oft im Kampf gegen die Unterdrückung und Diskriminierung bestimmter Gruppen nicht mitgedacht, damit werden diese Personen nicht mitgedacht.

Die feministische intersektionale Theorie entstand im Zuge der Schwarzen Befreiungsbewegung, in der Pride-Bewegung und der sogenannten Zweiten Welle der Frauenbewegung ab den 1960ern in den USA. Schwarze Frauen wurden weder in der einen noch der anderen Bewegung repräsentiert und mitgedacht. Sie werden marginalisiert in den politischen Bewegungen, in den Medien, Literatur und Politik. 

Aber ist Repräsentation wirklich so wichtig?

Ich werde nie vergessen, wie mich Menschen das erste Mal mit dem N*-Wort beleidigten. Ich war gerade ein paar Wochen in der ersten Klasse und auf dem Weg zur Schule. Hinter mir lief eine Gruppe von Jungen. Sie kamen mir damals sehr groß und erwachsen vor, aber wahrscheinlich waren sie erst 8, 10 Jahre alt. Sie riefen mir immer N****, N**** zu. Ich hatte das Wort zuvor nie gehört, wusste aber, dass es sicher eine Beleidigung ist. Zu Hause fragte ich meine Mutter, was es bedeutet. Sie erklärte mir, dass man so früher Menschen mit dunkler Hautfarbe bezeichnete, dass es aber nicht nett sei. Mehr nicht. Sie war sichtlich überfordert und wollte mich wahrscheinlich schützen. 

Ich verstand das nicht. Warum hatten meine Mutter, mein Vater und ich alle unterschiedliche Hautfarben? Ich wusste schon im Kindergarten, dass Weiß schön ist und blonde glatte Haare. So sahen immer die Prinzessinnen, in den Büchern und Filmen aus und alle beliebten Mädchen im Kindergarten. Ich wünschte mir so sehr blonde, glatte Haare, auch wenn mir die Vorstellung von mir mit blonden, glatten Haaren nicht gefiel. Egal. Besser als diese krausen, schwarzen Haare, die mir jeden Morgen furchtbare Schmerzen verursachten, wenn meine Mutter sie kämmte und verzweifelt versuchte sie zu einem ordentlichen Zopf zu binden. Ich verstand damals nicht, dass ich für Menschen anders bin, weil ich für sie nicht “deutsch” bin, ich dachte, dass ich einfach hässlich bin. Auch jenseits von Prinzessinnen waren meine Kindheitsheldinnen Weiß: Harry Potter, Tintenherz, Die Wilden Hühner, Pfefferkörner, Juno, How I met your mother. Schwarze Frauen oder Women of Color tauchen, wenn überhaupt, als die nicht ganz so attraktive beste Freundin auf, eine Nebenrolle. 

2002 bekamen Denzel Washington und Halle Berry als erste Schwarze einen Oscar in der Hauptdarsteller*in-Kategorie. Während Denzel Washington noch andere Schwarze Männer folgten, blieb Halle Berry bis heute die einzige Schwarze Frau. 

Es fiel mir als Kind schwer herauszufinden, was und wer ich sein wollte, denn schon damals  merkte ich, dass für Frauen die so aussehen wie ich in der Gesellschaft nur sehr wenige Rollen vorgesehen sind.

Die Medien vermittelten mir, dass ich entweder Spitzensportlerin oder Sängerin werden könnte, denn das waren irgendwie die einzigen Frauen of Color, die sich als Vorbilder eigneten.

Es ging nie darum, dass ich mit meinem Köpfchen irgendwas erreichen könnte, sondern immer nur darum, dass ich die Talente die “natürlich” mit meiner vermeintlichen “Rasse” gekommen waren nutzen hätte können. Bis zum heutigen Tage entsprechen die Reaktionen auf meine sportliche oder gesangliche Leistung der Haltung, dass es ja klar sei, dass ich gut in diesen Dingen bin.

Ich wuchs in einer sehr weißen Umgebung auf und  meine Reaktion auf meine Umwelt, dass ich mich immer doppelt so sehr anstrengen musste um Anerkennung in der Schule zu erhalten, denn nicht Weiß sein bedeutete nicht, dass man schlau ist.

Ich verstand nie warum ich als Beste in der Klasse von meinen Mitschüler*innen trotzdem noch Affe genannt wurde, aber meine Eltern sagten mir ich solle darüber stehen:

“Lass dir nicht anmerken, dass es weh tut! Streng dich weiter an und sei immer freundlich, irgendwann merken die anderen Kinder, dass du genauso bist wie sie”.

Also versuchte ich das, lachte bei ihren Witzen mit, verhielt mich genau so wie sie und vergaß wer ich bin. Mir machte Schule und mir Wissen aneignen wirklich Spaß  und ich fing an mich mehr über meine intellektuellen Fähigkeiten zu definieren. Blöd war nur, dass dies scheinbar niemand anderes tat. Jede*r neue*r Lehrer*in musste überzeugt werden, dass ich was konnte. Ich fühlte mich im dauernden Rechtfertigungszwang der mich auch oft wütend machen konnte, dennoch wollte ich auf keinen Fall so wirken wie Frauen of Color, die ich in den Medien sah. Ich wollte nicht wie eine Naomi Campbell als aggressive Bitch gelten und auf keinen Fall sollte irgendwer denken ich sei dumm und ungebildet, irgendwie ghetto. Ich hatte das Gefühl ich würde gegen all die Vorhersagen kämpfen müssen, wenn ich wirklich studieren und vielleicht sogar eine Karriere in der Wissenschaft machen wollte.

Bis heute fühle ich mich oft an der Universität als Fremdkörper, die mit ihrer Sicht auf die Welt immer aneckt, denn Professor*innen, Kommiliton*innen oder Lehrmeinungen vermitteln mir genau dieses Gefühl. Natürlich nie wirklich offensichtlich, sondern immer subtil. 

Die Wissenschaft ist männlich dominiert, aber für meine weiblichen Kommilitoninnen gab es Frauen in der Wissenschaft wie Marie Curie, Hannah Arendt oder Virginia Woolf und ich denke mir: Dies waren auch meine Vorbilder, aber habe ich jemals wirklich daran geglaubt so sein zu können wie sie?

Ich wünschte, ich könnte irgendwann sehen, wie Schwarze Frauen und Women of Color Wissenschaftlerinnen, Heldinnen der Kindheit oder Politikerinnen sind und das es ganze normal ist und nicht die große Ausnahme. Denn unsere Repräsentation und Sichtweise  fehlt, dies anzuerkennen ist mein Wunsch an die Weiße Mehrheitsgesellschaft. Wir brauchen die Repräsentation nicht nur für Schwarze Frauen und Women of Color, damit sie sich als Teil der Gesellschaft fühlen können, sondern auch Weiße Menschen brauchen das, damit sie Rassismen überwinden können, damit für sie Schwarze Frauen und Women of Color nicht irgendwas “Exotisches” sind, ihnen nicht fasziniert in die Haare fassen oder ihnen Fragen stellen, die sie Weißen Menschen nie stellen würden. Und die Gesellschaft wird nie ohne Rassismus sein, wenn Macht nur bei Weißen Menschen liegt. 

Struktureller Rassismus zieht sich durch alle Bereiche und spiegelt sich in Machtstrukturen wider. Wer hat die Möglichkeit über wen zu entscheiden? Wie gelangen Menschen an diese Möglichkeiten?

Dass nur ein geringer Teil in Deutschland Zugriff auf diese Machtstrukturen hat, ist uns nicht erst seit gestern bewusst. Seit Jahrzehnten kämpft die Schwarze Frauenbewegung und andere Women of Color in Deutschland für mehr Repräsentanz. Gerade jetzt drängt sich uns stärker denn je die Frage auf: Wieso ist unserer Verband, die Jusos in der SPD, so weiß und männlich? Ein jugendpolitischer Verband, welcher den Anspruch hat inklusiv und feministisch zu sein.

Wie schaffen wir es, dass unsere feministische Utopie für die Gesellschaft mehr als Weiße, cis-Frauen in Vorstandsposten beinhaltet?

Dabei spielen viele strukturelle Mechanismen eine Rolle, welche systematisch Hürden für Gruppen von Menschen in den Weg legen. Es sollte oberste Priorität haben, verschiedene Ausgrenzungs- und Diskriminierungsformen nicht gegeneinander auszuspielen. Jedoch spielt Rassismus eine zentrale Rolle und durchzieht unsere Denk- und Handlungsmuster mit schwerwiegenden Folgen.

Zu unserem Feminismusverständnis muss noch einiges geleistet werden, damit Rassismus mehr in den Blick genommen wird. 

Es gibt schlichtweg ein Wissensproblem über intersektionalen Feminismus und damit zusammenhängende Diskurse. Zudem haben viele Jusos, die sich mehr oder weniger mit dem Thema auseinandergesetzt haben unterschiedlichste Meinungen. Sei es um das Thema kulturelle Aneignung, Begriffsnutzungen wie Poc/BIPoC oder die Quotenfrage. Diese Diskussionen müssen bei uns geführt werden und eine jungsozialistische Perspektive auf intersektionalen Feminismus erarbeitet werden. 

Hierbei ist es wichtig darauf zu achten, von Rassismus Betroffenen den Raum zu geben, welcher ihnen sonst verwehrt wird. Erfahrungen dürfen nicht abgesprochen und Perspektiven müssen aktiv eingeholt werden.

Die PoC-Vernetzung auf Bundesebene ist ein erster, wichtiger Ansatz. Die Diskurse müssen auf Landes- und Unterbezirksebene geführt werden. Wir müssen uns mit Verbänden vernetzen, wo sich BIPoCs engagieren und antirassistische Arbeit leisten. Wir müssen als Verband, der so Weiß ist, Weiße Privilegien hinterfragen, und uns dazu in unserer Bildungsarbeit mit auseinandersetzen. Wir müssen BIPoCs und vor allem Women of Color fördern und empowern. Unser Verband kann nicht Politik über diskriminierte Minderheiten machen, sondern muss es mit ihnen tun. Es muss selbstverständlich werden, dass BIPoCs und Women of Color in unserem Verband sichtbar sind, dass sie in unseren Vorständen sind, als Referent*innen bei Workshops oder als Redner*innen bei Veranstaltungen. 

1 ,,cis’’ bedeutet sich mit dem bei der Geburt zugeschriebenem Geschlecht zu identifizieren. Bildet den Gegensatz zu ,,trans’’

2 Bezieht sich darauf als weiß und männlich gelesen zu werden und auf die damit einhergehenden Erfahrungen.

3 Poc (People of colour) steht für alle von Rassismus betroffenen Personen. BIPoc (Black, Indigenous and People of Colour) kommt aus dem anglo-amerikanischen Raum und legt einen Fokus auf die gesonderte Diskriminierung von Schwarzen und Indigenen Menschen. Er ist quasi eine Ergänzung zum Begriff Poc.

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