Bezahlte Care-Arbeit – Philine Studt

- Posted by Author: Pauline Schur in Category: Artikel 1/20 | 3 min read

Die Berufswahl stellt jeden Heranwachsenden vor eine große Frage. Wer bin ich, wo möchte ich in 5 oder auch 10 Jahren stehen? So ging es auch mir vor knapp drei Jahren.

Mein Leben hat mich erst auf einigen Umwegen zur Mittleren Reife geführt, so dass ich während meiner Zeit an der Berufsfachschule bereits einen eigenen Haushalt geführt und für meinen Lebensunterhalt gearbeitet habe. Entsprechend hoch war der Druck, ich wollte endlich raus aus dem Leben als Sonderling (wie, du gehst mit 20 noch zur Schule?) und mich endlich frei entfalten können. Aber wo kann ich das am besten?

Meine Schwester, die einige Jahre vor mir vor der gleichen Entscheidung stand, hat sich damals für eine Ausbildung zur Gesundheits- und Krankenpflegerin entschieden, genau wie unser Vater. Sie arbeitet heute in einem ambulanten Pflegedienst, er ist einige Jahre nach seiner Ausbildung aus der Pflege gegangen, weil ihm die Arbeitsbedingungen zu sehr zugesetzt haben. Genau so geht es auch heute noch einem Großteil der examinierten Pflegekräfte, im Schnitt arbeiten sie weniger als 10 Jahre in ihrem Beruf.

Diesen Aspekt hatten wir in meiner Berufsfachschule damals schon ausgiebig beleuchtet. Wir haben uns Statistiken angesehen, zum demographischen Wandel, wie viele Pflegekräfte jetzt schon fehlen und auch warum. Unsere Lehrerin sagte, dass wir heute im Gesundheitssystem so gute Aufstiegschancen hätten wie nie, wir könnten uns Beruf und Arbeitsort nahezu aussuchen so dringend werde überall gesucht. Ob mich diese Aussage abschrecken oder motivieren sollte weiß ich bis heute nicht.

Durch meine Arbeit bei den Jusos, regelmäßige Gespräche mit meiner Familie, den Unterricht in der Schule sowie dem regelmäßigen Verfolgen der Nachrichten war ich also grundsätzlich sehr gut informiert über die Situation in der Pflege. 

Ich könnte jetzt schreiben, dass ich mich daher sehr schweren Herzens gegen eine Ausbildung in der Pflege und für eine gut bezahlte Ausbildung mit super guter Perspektive entschieden habe und heute glücklich mit meiner Entscheidung bin.

Das wäre aber nur ein Teil der Wahrheit, denn obwohl ich mich für reichlich andere Berufe beworben habe ging mir mein Praktikum in der ambulanten Kinderkrankenpflege einfach nicht mehr aus dem Kopf. Da war beispielsweise die schwerstmehrfachbehinderte Patientin, deren Gesicht ein Ausdruck purer Lebensfreude war, wenn wir mit ihr bei intensivem Wetter (andere würden es Unwetter nennen) spazieren gingen. Sie war vorher untröstlich Zuhause, so gefangen schien sie in ihrem Kopf und ohne Möglichkeiten sich selbst von ihren Gedanken abzulenken.

Oder auch der ebenfalls schwerstmehrfachbehinderte Patient dessen Eltern lange Zeit aus Mangel an Informationen keinen Pflegedienst für ihn hatten und der ebenfalls vor Freude strahlte, sobald wir in den Raum kamen und ihn begrüßten. Auch er war gefangen in seinem Kopf und wusste, dass unser Erscheinen Abwechslung heißt. Er ist das älteste von fünf Kindern.

Aber reicht das? Können solche Momente des Glücks ausgleichen, was die restliche Zeit geschieht? Den Frust wegen dem Schichtdienst, der Personalnot und der viel zu kurze Zeit für jeden Patienten? Mein Praktikum fand in der Blase der ambulanten Kinderkrankenpflege statt, einem Bereich, in dem nicht in Schichten gearbeitet und nur ein Patient pro Schicht betreut wird. Die Frage, ob diese Momente in einem Krankenhaus überhaupt noch vorhanden sind, hat mich lange zweifeln lassen. 

Trotz allem bin ich nicht den Weg der Vernunft gegangen und habe mich für die Ausbildung zur Gesundheits- und Kinderkrankenschwester entschieden. 

Aber nichts desto Trotz bin ich zufrieden mit meiner Entscheidung. Wenn ich morgens um 5 noch halb schlafend in der Bahn sitze, danke ich an das 5 Jahre alte Mädchen, dass mich nach einer Blutentnahme ansah und sagte: „dich mag ich, du sagst mir die Wahrheit“. 

Ich liebe meinen Job, denn das Wissen zu haben Kindern wie ihr zu erklären was mit ihnen geschieht und sie so zu versorgen erfüllt mich mit einer Zufriedenheit, die mir kein anderer Beruf geben kann. 

Das ist es, warum ich trotzdem in der Pflege arbeite.

Und gegen den Frust schreibe ich als Juso Anträge 😉