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Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG): Das energiepolitische Stop-and-Go geht in die nächste Runde – Caspar Bayer

- Posted by Author: Pauline Schur in Category: Artikel 01/21 | 10 min read

Kennt ihr noch diese aufziehbaren Spielzeug-Autos? Nach jedem Aufziehen schießt das Auto schnell nach vorne, wird dann wieder langsamer und bleibt schließlich stehen. Wiederholt man das allzu oft, leiert die Feder vom häufigen Aufziehen aus und das Auto bewegt sich nur noch schleppend vorwärts. Das ist sinnbildlich die Entwicklung, die das einst so erfolgreiche Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) durch die Novellen in den letzten Jahren gemacht hat. Kurz vor den Weihnachtsfeiertagen haben die Energiepolitiker*innen der Regierungsparteien sich nach zähen Verhandlungen dazu durchgerungen, das alte Auto noch einmal aufzuziehen. Denn ohne einige drängende Regelungen wäre der Ausbau erneuerbarer Energien in naher Zukunft weiter eingebrochen und früher oder später zum Erliegen gekommen. Aber wenn man die Klimakrise ernst nimmt, kann es mit diesem Stop-and-Go so nicht weitergehen. Wir Jusos haben mit dem Antrag „Fossil-atomares Energiesystem? Nein Danke! Unsere sozial-ökologische Antwort im Energie- und Verkehrssektor“ (U7) daher auf dem letzten Bundeskongress eine umfassende Vision für progressive Klima- und Energiepolitik beschlossen. Dabei ging es natürlich auch darum, wie wir uns ein EEG vorstellen, mit dem wir tatsächlich ins Ziel „Klimaneutralität“ kommen – und zwar schnell.

Warum ist das EEG eigentlich so wichtig?

Das EEG war und ist das Herzstück der deutschen Klimapolitik. Nichts hat in den letzten 20 Jahren mehr zur Verringerung der klimaschädlichen Treibhausgasemissionen beigetragen, wie der Ausbau erneuerbarer Energien. Ohne den sauberen Strom, v.a. aus Solarenergie und Windkraft, wären der Ausstieg aus Atomkraft und fossilen Energien undenkbar. Die Elektromobilität, auf der Schiene oder auf der Straße, aber auch neue Heizungen mit Wärmepumpen wären nicht klimafreundlich ohne einen immer weiter steigenden Anteil CO2-freien Stroms im deutschen Strommix. Der Ausbau erneuerbarer Energien ist deshalb nicht eine Maßnahme unter vielen, sondern die Grundvoraussetzung dafür, dass die zahlreichen anwendungsseitigen Maßnahmen in den Sektoren Gebäude, Industrie, Verkehr überhaupt Sinn machen. Und ohne das EEG – daran besteht kein Zweifel – hätte es die Erfolgsgeschichte der erneuerbaren Energien niemals gegeben.

Weil der Markt die Energiewende nicht regelt, brauchen wir das EEG

Das Dilemma der erneuerbaren Energien ist, dass sie in einem nach der Logik fossiler und atomarer Großkraftwerke konstruierten Markt einen ungleichen Kampf kämpfen müssen. Zeitpunkt und Menge der Wind- und Solarstromproduktion sind wetterbedingt und kaum planbar. Durch den steigenden Anteil erneuerbarer Energien kommt es folglich immer häufiger zu einem Überangebot an Strom, das durch die Inflexibilität einiger Großkraftwerke noch verstärkt wird. In diesen Zeiten sinken die Börsenstrompreise regelmäßig so stark ab, dass Windkraft- und Solaranlagen über den „Markt“ keine ausreichenden Einnahmen mehr erzielen können. Zugleich wird der zentrale Mehrwert der Erneuerbaren, CO2-freien Strom zu erzeugen, viel zu wenig honoriert. Obwohl das Umweltbundesamt die Schäden durch eine Tonne CO2 mittlerweile auf 195 Euro schätzt, beträgt der CO2-Preis im europäischen Emissionshandel meist nur 20 – 30 Euro pro Tonne. Kurzum, in diesem Marktumfeld hätten Investor*innen in erneuerbare Energien keine ausreichende Planbarkeit und Sicherheit für Investitionen, kaum eine Bank würde diese Investitionen finanzieren. Und genau deshalb ist das EEG unverzichtbar. Anders als häufig behauptet, geht es beim EEG längst nicht mehr um hohe Fördersätze für teure Technologien – es gibt heute keinen günstigeren Strom, als aus Wind- und Solaranlagen – sondern darum, Marktversagen zu kompensieren und Planbarkeit sowie Investitionssicherheit herzustellen.

Wo stehen wir heute?

Im Corona-Jahr 2020 erreichte der Anteil erneuerbarer Energien an der Stromerzeugung erstmals über 50 %. Aber heißt das, dass jetzt alles super ist? Sind wir auf dem richtigen Weg? Leider nein. Einer der Architekten des EEG, der SPD-Politiker Dr. Hermann Scheer hat es einst auf den Punkt gebracht: „Knapp sind nicht die erneuerbaren Energien, knapp ist die Zeit“. Wer die Klimakrise verstanden hat weiß, dass Zeit der entscheidende Faktor ist. Klima- und Energiepolitik müssen sich daran messen lassen, ob sie schnell genug handeln, alle Hebel in Bewegung setzen. Und genau hier kommt der Konflikt. Je schneller 100% erneuerbare Energien erreicht werden, desto schneller werden fossile Energien, Industrien und alles was damit zusammenhängt – nicht zuletzt die Arbeitsplätze in diesen Bereichen – obsolet. Das klingt dramatisch, aber genau darum geht es. Für uns Jusos ist klar, dass die Transformation sozial gerecht erfolgen muss, keinesfalls auf dem Rücken der Beschäftigten. Aber für uns ist auch klar, dass es keine Lösung ist, auf Zeit zu spielen. In der Klimakrise steht einfach zu viel auf dem Spiel, außerdem steigt die Gefahr unkontrollierbarer Strukturbrüche mit jedem Jahr, das verstreicht.

Konzernwirtschaftliche Energiewirtschaft vs. dezentrale Energiewende

Natürlich geht es nicht nur um Arbeitsplätze, auch die alten Geschäftsmodelle der atomar-fossilen Energiewirtschaft, mit denen Jahrzehntelang viel Geld verdient wurde, stehen auf dem Spiel. Es waren zweifelsohne diese Profitinteressen, die beginnend mit der schwarz-gelben Regierung 2009, den politischen Widerstand gegen die dezentrale Energiewende erschaffen haben und dem Boom der erneuerbaren Energien der Jahre 2010-2012 ein jähes Ende setzten. Wer verstehen will, was beim EEG die letzten Jahre und auch bei dieser Novelle schieflief, muss sich der Konfliktlinien vergewissern. Teile der konzernwirtschaftlichen Stromwirtschaft hängen nach wie vor an dem Geschäft aus vergangenen Tagen und verdienen jede Menge Geld mit Stromhandelsgeschäften, die ohne Kohle- oder Atomkraftwerke und deren niedrigen Stromerzeugungskosten kaum möglich wären. Wenn erneuerbare Energien nicht schnell genug ausgebaut werden, liegt es also nicht daran, dass es nicht schneller ginge. Vielmehr haben sich dann die Interessen durchgesetzt, die noch weit in die 2030er Jahre fossile Energien nutzen wollen und diese erst aufgeben werden, wenn ihre wirtschaftliche Stellung auch mit den neuen Technologien abgesichert ist. Und weil man mit dem EEG sehr genau steuern kann, wie viel erneuerbare Energien zugebaut werden, ist es zum entscheidenden Zankapfel in der energiewirtschaftlichen Auseinandersetzung geworden: Hier entscheidet sich, wie schnell die Transformation abläuft und welche Akteur*innen im zukünftigen Energiesystem mitbestimmen.

Vom Fördergesetz zum Bremsklotz

Unter dem Mantra der „Marktintegration“ erneuerbarer Energien, die sich an das bestehende atomar-fossil geprägte System anzupassen hätten, wurde das EEG de facto immer mehr von einem Fördergesetz in ein Gesetz umgekehrt, das den Ausbau der erneuerbaren Energien erschwerte, behinderte und deckelte. In diesem Licht sind Ausbaukorridore, Förderdeckel, Ausschreibungen und die überbordende Bürokratie zu sehen. Allein durch die im EEG festgeschriebene Degression der Fördersätze ist vorprogrammiert, dass der Ausbau früher oder später wieder zum Erliegen kommt, wenn nicht regelmäßig nachgebessert wird. Oder um wieder die Spielzeug-Metapher zu bemühen: Das Auto wurde absichtlich so konstruiert, dass es regelmäßig wieder aufgezogen werden muss, damit verhindert werden kann, dass es zu schnell sein Ziel erreicht.

Wir Jusos fordern ein „je schneller, desto besser“ beim Ausbau der erneuerbaren Energien

Es ist also höchste Zeit für einen Paradigmenwechsel: Progressive Klimaschutzpolitik muss das Stop-and-Go hinter sich lassen und jetzt eine Klima- und Energiepolitik fordern, mit der die Klimaziele auch tatsächlich erreicht werden. Mit unserem Beschluss auf dem letzten Bundeskongress haben wir Jusos dargestellt, wie so eine Politik konkret aussehen sollte. Wir fordern: Klimaziele und somit auch Ausbauziele erneuerbarer Energien müssen stets als Mindestziele verstanden werden, deren Übererfüllung zu befürworten und anzustreben ist. Bereits in diesem Punkt zeigt sich, wie unzureichend die neueste Novellierung des EEG ist: Die Ausbauziele wurden zwar angehoben, aber nicht weit genug, dass damit die nationalen Klimaziele 2030 erreicht werden könnten. Aber selbst diese Klimaziele sind nicht mehr ausreichend, um das neue europäische Klimaziel zu erreichen. Zwar wurde in einem Entschließungsantrag beteuert, die Ausbauziele bereits dieses Frühjahr nochmals anzuheben, ob das tatsächlich geschieht ist fraglich.

Auch werden mehr Windenergieprojekte ausgeschrieben, aber die Bundesnetzagentur muss diese Mengen kürzen, wenn nicht genug Gebote vorliegen. Real dürfte der Ausbau also weiterhin stark hinter den Zielen zurückfallen, denn zähe Genehmigungsverfahren und Bürokratie erschweren neue Windenergieprojekte über die Maße. Hinzu kommt, dass Windenergieanlagen in Zeiten negativer Strompreise schneller als bisher ihren Förderanspruch verlieren. Auch wenn diese Verluste teilweise kompensiert werden, so unterwandert dies doch eine unserer zentralen Forderungen: Der unbedingte Einspeisevorrang erneuerbarer Energien vor atomar-fossilen Energien muss erhalten bleiben, denn Energie, die unsere Umwelt zerstört, darf nicht unter den gleichen Marktbedingungen angeboten werden, wie umweltfreundliche Energie.

Nicht nur schwarze durch grüne Technologien ersetzen: Wir fordern eine echte Energie-System-Wende

Neben der Frage, wie viel erneuerbare Energien zugebaut werden, muss sich linke Politik aber auch dafür interessieren, wer diese Anlagen baut, kontrolliert und wie gerecht Kosten und Nutzen verteilt sind. Die natürliche Dezentralität erneuerbarer Energien (Sonne und Wind gibt es überall) sollte sich unbedingt auch in einer dezentralen und gerecht verteilten Eigentümerschaft widerspiegeln. Es ist ein wesentlicher Bestandteil der bisherigen Erfolgsgeschichte des EEG, dass nicht nur wenige Konzerne, sondern mittlerweile bereits Millionen von Menschen direkt beteiligt sind – einzeln, zusammengeschlossen in Energiegenossenschaften oder über kommunale Energieversorgung. Es gibt wahrscheinlich kein Gesetz der neueren Zeit, welches ein größeres Potenzial für die Umverteilung grundlegender Produktionsmittel in sich trägt, als das EEG. Die Energiewende muss also mehr sein als das reine Ersetzen atomar-fossiler Energieträger durch Erneuerbare. Vielmehr bietet die Energiewende die Chance, zur Blaupause für ein modernes, nachhaltiges und vor allem gerechteres und demokratischeres Wirtschaftssystem zu werden. Um diese Chance zu nutzen, müssen wir die Energiewende viel mehr als eine Energie-System-Wende verstehen und aktiv als solche gestalten. Und das jedenfalls ist mit dieser Novelle noch nicht geschehen, der bisherige Trend der “Marktintegration” setzt sich fort und wird es den kleineren, dezentralen Akteur*innen zunehmend erschweren, ihren Platz im neuen Energiesystem zu verteidigen, geschweige denn auszubauen. Viele dieser Regelungen sind europarechtlichen Vorgaben geschuldet. Auch hier ist es an der Zeit, Farbe zu bekennen und den Mainstream stärker zu hinterfragen. Es gibt hoffnungsvolle Ansätze, etwa die in der europäischen Erneuerbare-Energien-Richtlinie (RED II) formulierten “Erneuerbare Energien Gemeinschaften”.

Auf dem Weg zur sozial gerechten Energiewende bleibt noch viel zu tun

Vor diesem Hintergrund ist es ernüchternd, dass auch mit dem neuen EEG der große Wurf für mehr Bürger*innenbeteiligung wieder einmal nicht gelungen ist. Zwar ist es jetzt für die Betreiber*innen von Windenergieanlagen möglich, die Standortkommune finanziell zu beteiligen, jedoch auf freiwilliger Basis und somit nicht verpflichtend. Zwar wurde der Zuschlag für Mieterstromprojekte, also Solar-Projekte bei denen Mieter*innen den Strom vor Ort zu einem vergünstigten Preis direkt verbrauchen können, angehoben und auf Quartiere ausgeweitet. Aber nach wie vor nur bis zu einer Größe von 100 Kilowatt. Zwar müssen Eigenheimbesitzer*innen für selbst verbrauchten Strom aus Anlagen bis 30 kW statt wie bisher 10 kW keine EEG-Umlage mehr zahlen, aber Personen ohne Wohneigentum nutzt diese Befreiung in den meisten Fällen nichts. Der Strom aus größeren Aufdach-Solaranlagen darf zwar jetzt selbst verbraucht werden, aber dann halbiert sich die Förderung für ins Netz eingespeisten Strom. Und so weiter und so fort. Zu quasi jeder kleinen Verbesserung im neuen Gesetz kommt eine neue Einschränkung. Nach wie vor tragen die privaten Haushalte den weitaus größten Teil der EEG-Umlage, während immer noch viel zu wenige Menschen am Ausbau der Erneuerbaren beteiligt sind. Von einer solidarischen Energiewende, an deren Ende ein Energiesystem steht, das uns allen gehört, entfernen wir uns Stück für Stück weiter.

Allerhöchste Zeit, Klimaschutz sowie Industrie- und Strukturpolitik zusammenzudenken

Nicht zuletzt wäre gute Klima- und Energiepolitik zugleich auch gute Wirtschaftspolitik und würde in Europa aber auch weltweit neue zukunftsfähige Jobs schaffen. Aufbauend auf erneuerbarem Strom könnten grüner Wasserstoff, verschiedenste Speichertechnologien und innovative Lösungen für mehr Energieeffizienz den Grundstein für neue Industriearbeitsplätze legen. Umso fataler ist es, wenn der Einsatz dieser Technologien, bis auf wenige Punkte wie etwa die Befreiung der Wasserstoffproduktion in Elektrolyseuren von der EEG-Umlage, immer noch nicht zufriedenstellend gesetzlich geregelt ist und stattdessen auf landes- und kommunaler Ebene ein Flickenteppich von Einzelförderungen entsteht, der die Regelungslücken oder gar Fehlanreize des EEG mit kommunalen Geldern zu kompensieren versucht. Wenn eine klare Strategie und klare Rahmenbedingungen für den Einsatz dieser neuen Technologien fehlen, wird früher oder später auch das große wirtschaftliche Potenzial, das diese Technologien mit sich bringen, verloren gehen. Es ist also an der Zeit, das Klein-klein hinter uns zu lassen und für einen neuen Aufbruch in der deutschen Energiepolitik zu streiten. Und auch wenn mir Auto-Vergleiche zunehmend fernliegen, ein letztes Mal: Wir dürfen uns nicht noch einmal darauf einlassen, mit der Union darüber zu streiten, wie stark wir das Spielzeug-Auto diesmal aufziehen. Wir müssen eine neue Feder einbauen, die stark genug ist, uns so schnell wie möglich über die Ziellinie zu bringen. 100 % erneuerbare Energien bis 2030 sind möglich! Wir können und müssen das atomar-fossile Energiesystem endgültig hinter uns lassen!

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